Rezensionen - Andreas Sauer
 

Renzensionen - Andreas Sauer

Morsbach, Peter – Hage, Hermann – Specht, Hanna: Regensburgs erster Stadtfotograf Christoph Lang 19 …

 22.06.2022 |  Andreas Sauer

Nach der im Jahr 2018 erschienenen, nunmehr in zweiter Auflage vorliegenden ersten Publikation zur Regensburger Stadtfotografie mit Aufnahmen aus dem Fundus des Stadtfotografen Christoph Lang (siehe Rezension in Schönere Heimat, Jg. 2019, S. 324–325) sind in den Jahren 2019 und 2020 zwei weitere Bände in der Reihe auf den Markt gekommen.

Das reichhaltige Schaffen Christoph Langs mit über 20 000, im Zeitraum von zwei Jahrzehnten gefertigten Aufnahmen bietet reichlich Bildquellen, um auf vielfältige Weise das historische Regensburg in einer Periode des Wandels darzustellen.

Der zweite Band, herausgegeben von Peter Morsbach, Hermann Hage und Hanna Specht unter dem Titel „Der zeitlose Augenblick“, zeigt neben Alltagsszenen vor der im Wandel befindlichen Kulisse Regensburgs Aufnahmen außergewöhnlicher, teils auch spektakulärer Veranstaltungen oder Ereignisse. Sie halten einzigartige Momente wie Artistik über den Dächern der Stadt, Aufnahmen von den ersten Gewerbe- und Leistungsschauen nach dem Zweiten Weltkrieg und von Einweihungsfeierlichkeiten anlässlich der Fertigstellung von neu errichteten städtischen Gebäuden fest, die den Aufbruch in eine neue Zeit einleiteten. Darüber hinaus beeindrucken zeitgeschichtlich interessante Fotografien, die Einblicke in das beengte und armselige Wohnen nach dem Krieg gewähren, das neben der ärmeren Bevölkerung vor allem Flüchtlinge und Heimatvertriebene betraf, oder auch Aufnahmen traditioneller Ladengeschäfte, die bald danach Neubauten weichen mussten. Die Veränderung der Stadt spiegelt sich sowohl in Aufnahmen kriegsbedingter Zerstörung als auch in heftigen Eingriffen in die zum Teil mittelalterliche Bausubstanz der historischen Stadt wider, als insbesondere im Bereich von St. Kassians-Platz und Spielhof in den 1950er Jahren massive Veränderungen erfolgten.

Der dritte und bislang letzte erschienene Band der Reihe widmet sich der Stadt Regensburg im Umfeld des Zweiten Weltkriegs. Dabei dominieren in den Aufnahmen der Vorkriegsjahre Bilder der Repräsentation des NS-Regimes mit gewaltigen Aufmärschen und Fahnenmeeren. Zudem dokumentieren Fotografien der Reichspogromnacht vom 9. auf den 10. November 1938 mit der in Brand gesteckten Synagoge und den geplünderten Geschäften die Gewaltexzesse des NS-Regimes und die Zerstörung jüdischer Kultur.

Bilder der Kriegszeit zeigen das zunächst von unmittelbaren Angriffen verschont gebliebene Regensburg mit seiner vielfach heute noch erhaltenen historischen Bausubstanz, aber auch mit den in den Vorkriegsjahren entstandenen neuen Wohnsiedlungen.

Die Jahre der Zerstörung Regensburgs von 1943 bis 1945 hielt Stadtfotograf Christoph Lang vom ersten Tag an fest, als er den Luftangriff auf die Stadt am 17. August 1943 von seiner Wohnung aus fotografierte. Weitere Aufnahmen, auch aus der Nachkriegszeit, machen das Ausmaß der Zerstörung und den Verlust des historischen Stadtbildes deutlich. Die Bildauswahl führt zugleich die großen Herausforderungen vor Augen, denen sich die Verantwortlichen der Stadt nach Kriegsende gegenübersahen. Es galt, den großen Mangel an Wohnraum und die unsichere Versorgungslage der Bevölkerung zu meistern und gleichzeitig die Integration der neu hinzugekommenen Menschen zu bewältigen. Die Zeit des Wiederaufbaus und der optimistische Blick in die Zukunft wird in Festveranstaltungen der Nachkriegszeit ebenso deutlich wie in der Errichtung von Gebäuden für die Allgemeinheit wie neuen Badeanstalten oder Parks und Anlagen für Freizeit und Erholung.

Die sorgfältig ausgewählten, qualitätvollen Aufnahmen werden von erläuternden Texten ergänzt, die historische Informationen bieten, aber mitunter auch eine Brücke in die Gegenwart schlagen. Und das macht den großen Reiz derartiger Fotobände aus: Es ist der Vergleich früherer Aufnahmen mit der heutigen Situation, die eine vergangene Lebenswelt zeigen, zugleich jedoch mit dem Klischee von der „guten alten Zeit“ aufräumen. Sicher war die dargestellte Epoche in vielen Bereichen entspannter, weniger technisiert und kommunikativer, jedoch auch mit Problemen behaftet, die die Gegenwart längst nicht mehr kennt.

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Diese Buchbesprechung hat uns freundlicherweise vom Bayerischen Landesvereins für Heimatpflege e.V. „Schönere Heimat“ zur Verfügung gestellt.

Eine neue Zeit. Die „Goldenen Zwanziger“ in Oberbayern

 15.07.2021 |  Andreas Sauer

Ein von der Forschung lange vernachlässigtes Thema vermittelt das Freilichtmuseum Glentleiten seinen Besuchern mit der Ausstellung „Eine neue Zeit. Die ‚Goldenen Zwanziger‘ in Oberbayern“, die bereits im Jahr 2019 zu sehen war und nochmals vom 19. März bis 14. Juni 2020 gezeigt wird. Der dazu erschienene Begleitband thematisiert wichtige Entwicklungen in Oberbayern im Jahrzehnt nach dem Ende des Ersten Weltkriegs 1918.

Die im Münchner Volk-Verlag erschienene Publikation verdeutlicht anhand von zehn Aufsätzen, deren Bearbeiter in einem Autorenverzeichnis am Ende der Publikation vorgestellt werden, warum es dieses Jahrzehnt längst verdient, wissenschaftlich genauer unter die Lupe genommen zu werden. Interessant ist der Blick auf die Landwirtschaft als wichtigem Wirtschaftszweig im Untersuchungsraum. Sowohl technische Innovationen wie der verstärkte Einsatz von Maschinen, deren Anzahl sich in den beiden ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts verdoppelte, als auch eine intensivere Bodennutzung erhöhten beispielsweise die Erträge beim Feldbau, obwohl sich gleichzeitig die Anbaufläche verringerte. Eingegangen wird auf die Phänomene, warum sich die Zahl der in der Landwirtschaft arbeitenden Bevölkerung bereits im Zeitraum von 1907 bis 1925 spürbar verringerte, welche Chancen und Probleme die Milchwirtschaft mit sich brachte oder welche Auswirkungen die unterschiedlichen Bodenverhältnisse einzelner Regionen Oberbayerns auf den Feldbau hatten.

Interessante Aspekte bieten die Betrachtungen der Erinnerungskultur und der Veränderungen in der politischen Landschaft. Die durch Kriegserlebnisse und Verlust traumatisierte Gesellschaft entwickelte eine intensive Gedenkkultur, die sich vielerorts in der Errichtung von Kriegergedächtnisstätten manifestierte. Die Entwicklung der Parteienlandschaft spiegelt die wechselvolle Geschichte der Zwanziger Jahre wider. Nach dem politisch unruhigen Jahr 1919, das, zum Teil auch im kleinstädtischen Milieu, bis Anfang Mai von revolutionären Entwicklungen geprägt war, folgte eine Phase der Konsolidierung, in der die Bayerische Volkspartei (BVP) und der Christliche Bauernverein als prägende Kräfte im ländlichen Raum agierten. Die NSDAP entdeckte 1928 die Bevölkerung im ländlichen Raum Oberbayerns als Zielgruppe und konnte vor dem Hintergrund der seit 1930 stark zunehmenden Arbeitslosigkeit mit der Organisation einer Welle von Kundgebungen insbesondere ab 1932 bei den Wahlen Stimmenzugewinne erzielen und zur stärksten Kraft werden.

Im Untersuchungszeitraum trat die Elektrifizierung Oberbayerns – zunächst für die nur in geringem Maße vorhandene Industrie und das Gewerbe von größerer Bedeutung – ihren Siegeszug an. Im ländlichen Raum wurden Transformatorenhäuser und Überlandleitungen errichtet, die das Orts- und Landschaftsbild prägten und den elektrischen Strom in die Einzelhaushalte brachten.

Im sorgfältig redigierten Band zu den „Goldenen Zwanzigern“ auf dem Land, dessen Beiträge mit Anmerkungen, Quellen- und wertvollen Literaturhinweisen aufwarten, werden auch die Themen Baukultur, Kino oder Mode untersucht und mit anschaulichen Aufnahmen aus allen Teilen Oberbayerns illustriert. Vergleichende Zahlen und Tabellen machen regionaltypische Unterschiede bei den Entwicklungen deutlich. Eine interessante, Neugier weckende Idee ist die auf einigen Buchseiten erfolgte Platzierung eines Statements zu den jeweiligen Entwicklungen, das den Leser kurz über spannende und zum Teil unerwartete Zusammenhänge informiert.

Für eine Annäherung an diese aufgrund der hervorragenden Quellenlage zu eigenen Recherchen einladende Zeit des Umbruchs bietet der Band wertvolle Anregungen, die, so bleibt zu hoffen, Anlass für weitere lokalhistorische und kulturgeschichtliche Detailstudien sein werden.

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Diese Buchbesprechung hat uns freundlicherweise vom Bayerischen Landesvereins für Heimatpflege e.V. „Schönere Heimat“ zur Verfügung gestellt.

Wachs zwischen Himmel und Erde

 16.07.2021 |  Andreas Sauer

In seinem umfassenden Werk „Wachs zwischen Himmel und Erde“ hat Hans Hipp einen Bereich der Kulturgeschichte aufgearbeitet, der zunehmend in Vergessenheit gerät, obschon es sich um eine volkskundliche Besonderheit handelt. Als Besitzer der seit dem Jahr 1610 am Hauptplatz in Pfaffenhofen a. d. Ilm nachgewiesenen Lebzelterei und Wachszieherei hat er sich über mehr als 40 Jahre mit dem Thema Wachs und dessen Bedeutung für die Herstellung von Opfer- und Dankesgaben im Wallfahrtswesen beschäftigt. Die in kunstvoll gefertigten hölzernen Modeln gegossenen Votivgaben dienten – neben Votivtafeln und Votiven aus Holz oder Eisen – über Jahrhunderte hinweg, insbesondere auf dem Höhepunkt der Volksfrömmigkeit und des Wallfahrtswesens in der Barockzeit, den Menschen als wichtiger Helfer in Notzeiten.

Die katholische Bevölkerung in Altbayern und im gesamten süddeutschen Raum brachte eine Vielzahl an unterschiedlich gestalteten, in Wachs gegossenen Darstellungen von Tieren, Menschen, „Fatschenkindern“ oder Körperteilen als Gaben in die Wallfahrtskirchen in der Hoffnung auf Heilung von speziellen körperlichen Leiden oder zur Abwehr von Gräueln und Plünderung in Not- und Kriegsjahren. Mit der Bitte um Schutz vor Krankheit und Drangsalen, vor Unglück in der Familie und vor Viehseuchen, aber auch aus Dank für unerwartete, „wundersame“ Hilfe suchten die Bittsteller (sogenannte Votanten) insbesondere ab dem 17. Jahrhundert die immer zahlreicher werdenden Gnadenstätten auf, um sich mit ihren Anliegen direkt an die Gottesmutter oder an dort verehrte Heilige zu wenden.

Bei seinen Recherchen zur Produktion und zur Verwendung von Votivgaben stieß Hans Hipp quasi vor Ort auf eine besondere Konstellation. Die nahe Wallfahrt zur rund zwei Kilometer entfernten Kirche Mariä Verkündigung in Niederscheyern sorgte mehrere Jahrhunderte hindurch für eine sichere Nachfrage nach den Wachswerken aus Pfaffenhofener Fertigung. Die bis heute unterschätzte Wallfahrt – sie ist nirgendwo in der einschlägigen Literatur erwähnt – ließ zahlreiche Menschen zur Kirche pilgern, um am Gnadenbild der Mutter Gottes eine Votivgabe zu hinterlegen, oft verbunden mit einer Votivkerze, einer Spende „in den Stock“ oder einer Messstiftung.

Die Strahlkraft der Wallfahrt nach Niederscheyern machen die im nahen Kloster Scheyern verwahrten Mirakelbücher sichtbar. Zehn Bände mit rund 20 000 Eintragungen aus dem 17. und 18. Jahrhundert schildern die Anliegen der zur Kirche pilgernden Menschen aus nah und fern. Dabei werden auch die Hoffnungen der Votanten sicht- und geradezu spürbar. Wiederholt finden sich Hinweise darauf, was die Bittsteller an Votivgaben zur Kirche brachten. Ausgewählte Beispiele aus den Mirakelbüchern lassen die Verknüpfung von Wachsproduktion für Votive und unmittelbarer Verwendung für ein konkretes Anliegen zu Tage treten. Die Einträge, die im originalen Wortlaut der Zeit wiedergegeben sind, machen auch ein Stück Zeit- und Mentalitätsgeschichte sichtbar. In Zeiten von Kriegen und Seuchen suchte die Bevölkerung Halt bei einer höheren Macht und bat aus tiefem katholischen Glauben heraus um Hilfe bei einem Heiligen oder bei Maria als bayerischer Landesmutter. Die fest verwurzelte Volksfrömmigkeit, die im Zeitalter der Gegenreformation ihren Höhepunkt erlebte, bildet zugleich ein Gegenstück zum Bild des strafenden und zürnenden Gottes, das die bayerischen Herzöge und Kurfürsten in ihren Landgeboten und Mandaten (Rechtserlassen zu speziellen Themen) zur Disziplinierung ihrer Untertanen schufen.

Durch die Symbiose von zwei gänzlich unterschiedlichen Quellengattungen – den Modeln mit den Abgüssen einerseits und den Mirakelbüchern andererseits – wird die einmalige Verknüpfung von Produktion, Ausbreitung und Zweck der Wachsfabrikation aus der traditionsreichen Pfaffenhofener Wachszieherei deutlich. Zahlreiche Wachsvotive fanden ihren Weg in das nahe Niederscheyern und waren zugleich wichtige Einnahmequelle der Wachszieher und Lebzelter, die als einzige Berufsgruppe Honig und Wachs der Bienen verarbeiten durften und mit einer nahe gelegenen Wallfahrt ein gutes wirtschaftliches Fundament besaßen.

Die umfassende Darstellung, der ein einführendes Vorwort der Volkskundlerin Nina Gockerell vorangestellt ist, zeigt in zahlreichen, von Hans Hipp selbst gefertigten hochwertigen Fotografien die Vielfalt der Votivgaben. Als Besonderheit sind neben dem Abguss der Votivdarstellungen immer auch die jeweiligen Model abgebildet, aus denen die Objekte in einem aufwendigen Verfahren kunstvoll „bossiert“ wurden, darunter das älteste im Familienbesitz befindliche, das auf das Jahr 1684 datiert ist. Der Verfasser richtet in seiner Darstellung den Blick aber auch über das eigene Unternehmen hinaus auf weitere namhafte Wachszieher, die Votive fertigten, etwa in Tölz, Wasserburg, Altötting oder München, wo die namhaften Hersteller Gautsch und Ebenböck hochwertige Arbeiten schufen, die ebenfalls Aufnahme in das Buch fanden.

Einzelne Kapitel liefern Informationen zum geschichtlichen Hintergrund und zur Ausbreitung des Votivwesens im süddeutschen Raum. Der Zusammenhang zwischen der Schulmedizin und der „Heilkunst“ wird ebenso thematisiert wie die Symbolsprache der Wachsarbeiten, die für spezielle Zwecke bestimmt waren. Augen, Zähne und innere Organe standen für jeweilige Leiden, das Motiv der Kröte fand bei Unterleibsbeschwerden oder Kinderlosigkeit Verwendung. Darstellungen der Bittsteller selbst in betender Haltung, zum Teil fast lebensgroß, blieben als kostspieligste Art der Votivkultur der reichen Schicht vorbehalten. Über die Verknüpfung mit den Mirakelbüchern lassen sich zeit-, mentalitäts- und medizingeschichtliche Fragestellungen aufgreifen, die interessante Einblicke in die barocke Lebenswelt der Landbevölkerung erlauben.

Die vorliegende, reich bebilderte und sorgfältig gestaltete Gesamtdarstellung, an die sich ein ausführliches Literaturverzeichnis anschließt, darf als die wohl letzte Gelegenheit gesehen werden, dieses volkskundlich bedeutende Thema umfassend darzustellen. Hans Hipp ist dies sowohl über sein aus der eigenen Familie überliefertes Wissen als auch dank reicher Erkenntnisse aus Archivrecherchen und zahlreichen Fahrten zu auswärtigen Fertigungsstätten trefflich gelungen.

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Diese Buchbesprechung hat uns freundlicherweise vom Bayerischen Landesvereins für Heimatpflege e.V. „Schönere Heimat“ zur Verfügung gestellt.

litera bavarica ist eine Unternehmung der Histonauten und der Edition Luftschiffer (ein Imprint der edition tingeltangel)
in Zusammenarbeit mit Gerhard Willhalm (stadtgeschichte-muenchen.de)


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